Die Zeit - 15 Apr 77

Prof. Robert B. Laughlin
Department of Physics
Stanford University, Stanford, CA 94305

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Manifest wider die Plutonium-Wirtschaft

Hinter Carters Politik: der Report der Ford-Stiftung

Von Josef Joffe
15 April 1977

Schon im vorigen Herbst, als er noch die Wahltrommel rührte, rüstete Jimmy Carter zum Kampf gegen die Plutonium-Wirtschaft. In San Diego verkündete der ehemalige Atomingenieur, daß er als Präsident die kommerzielle Wiederaufbereitung von abgebrannten Kernbrennstäben so lange blockieren würde, bis ihre "Notwendigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit eindeutig demonstriert worden sind". Die eigentliche Stoßrichtung dieser Wahlkampflosung war schon damals eine poütisdie: Wiederaufbereitung bedeutet Plutoniumgewinnung; und Plutonium ist ein Rohstoff, aus dem man Atombomben macht.

Am Gründonnerstag erhob Präsident Carter sein Versprechen zum Programm. In einer Sieben-Punkte-Erklärung zur US-Kernenergiepolitik verkündete er ein doppeltes Moratorium: Die kommerzielle Wiederaufbereitung wird in den Vereinigten Staaten von der Regierung nicht mehr finanziell gefördert; die Entwicklung des Schnellen Brüters wird zugunsten von Reaktoren zurückgestellt, bei denen kein waffenfähiges Plutonium anfällt.

Präsident Carter stützte sich dabei auf den lang erwarteten Report der Ford-Stiftung Nuclear Power: Issues and Choices, der Ende März erschienen ist. Die, Namensliste der 21 Autoren liest sich wie ein Who is Who des amerikanischen Wissenschafts-Establishments. Einer der Mitverfasser, Joseph Nye, ist inzwischen vom Politikprofessor in Harvard zum Nonproliferations-Beauftragten im State Department avanciert. Ehe die Studie veröffentlicht wurde, empfing Carter die Verfasser im Weißen Haus. Zweifellos skizziert der Report auch die Marschrichtung der amerikanischen Politik in dem schwelenden "Atomkrieg" zwischen Bonn und Washington, den das heftig umstrittene deutschr brasilianische Nuklearabkommen ausgelöst hat.

Vordergründig geht es in diesem Ford-Bericht um Energiebilanzen und Uranreserven, um Reaktorsicherheit und Entsorgung, um Wiederaufbereitung und Anreicherung. Das eigentliche Anliegen der Studiengruppe ist freilich - wie bei Carter - nicht die Technik, sondern die Politik. Schon auf Seite 22 heißt es: "Das größte Risiko der Kernkraft ist die mit ihr verbundene Vermehrung jener Länder, die Zugang zu der Technologie, den Materialien und den Anlagen gewinnen, die ihnen die Fähigkeit zur Atomwaffenherstellung verleihen." Kann man den unaufhaltsamen Vormarsch der friedlichen Atomtechnik absegnen und die Ausbreitung von Atomwaffen verhindern? Dies ist die Kernfrage, die der Repon auf 412 Seiten zu beantworten sucht.

Nein zum Kreislauf

Der deutschen Konzeption vom "Geschlossenen Brennstoff kreislauf" - also die Wiederaufbereitung im Dienste der Uraneinsparung, Entsorgung und zukünftigen Plutonium-Versorgung des Schnellen Brüters - erteilten die Amerikaner dabei eine zurückhaltend formulierte, aber klare Absage. Diese Theorie, die mit Abstrichen auch die englische, französische und japanische Politik bestimmt, beruht auf drei Prämissen:

Erstens: Uranvorräte sind knapp; deshalb kann auf die Rückführung des unverbrauchten Urans und des neuentstandenen Spaltmaterials Plutonium in den Brennstoffzyklus nicht verzichtet werden.

Zweitens: Die Entsorgung und Endlagerung erfordert die Abtrennung von Plutonium und anderer hochradioaktiver Abfallprodukte.

Drittens: Im Vergleich zum heute gängigsten Reaktortyp, dem Leichtwasser-Reaktor, kann ein Schneller Brüter (der mehr Spaltmaterial erbrütet, als er verbraucht) das Energiepotential der Welt-Uranreserven theoretisch verhundertfachen. Da er mit Plutonium "gefüttert" wird, müssen wir heute schon Plutonium-Rücklagen schaffen.

Gibt es genug Uran auf der Welt, um auch ohne Wiederaufbereitung und Schnelle Brüter die stetig steigende Nachfrage nach Spaltmaterial zu decken? Der Ford-Report gibt sich optimistisch: Das Angebot von Rohstoffen und Mineralien wird immer noch durch den Preis und den Fortschritt in der Technologie der Vorkommensausbeutung bestimmt. Vor hundert: Jahren wurde Kupfererz mit einem Kupfergehalt von 3,5 Prozent abgebaut; heute enthält es nur 0,5 Prozent und wird dennoch zu erschwinglichen Preisen gewonnen. Die weltweiten Uranreserven sind immer wieder unterschätzt worden. Bei einer Verdoppelung des Preises von 15 auf 30 Dollar pro amerikanischen Kohlevorkommen die größten, und die Kohle kann nur dort mit dem Atomstrom konkurrieren, wo sie - wie in Nordamerika - im Tagebau gefördert und an Ort und Stelle verbrannt werden kann. Transportkosten machen bis zu 25 Prozent des Kohlepreises aus.

Ein Kernsatz des Ford-Reports lautet: "Wenn überhaupt, dann besteht nur ein geringer wirtschaftlicher Anreiz für Wiederaufbereitung und Recycling; ohne Subventionen ist beides unwahrscheinlich." Dies mag sein, doch die Europäer und Japaner führen immer wieder ihre eigenen Umweltschutzargumente ins Feld. Die Amerikaner könnten es sich leisten, ihren Atomabfall einfach zu vergraben, zumal sie über riesige, dünn besiedelte Gebiete und über 100 000 Quadratmeilen unterirdischer Salzstöcke verfügen. Immerhin - so die Europäer - reduziert die Wiederaufbereitung das Volumen von hochradioaktiven Isotopen auf ein Zehntel der abgebrannten Brennstäbe.

Der Ford-Bericht bestreitet diese Rechnung. Bei der Wiederaufbereitung entweichen nicht nur gesundheitsschädigende radioaktive Gase in die Atmosphäre; es entstehen außerdem neue Kontaminationsprodukte in fester und flüssiger Form, Wohl kann Plutonium bis zu 99 Prozent aus deii alten Brennstäben herausfiltriert werden, doch dafür erhöht der wiedergewonnene Brennstoff den Isotopengehalt der nächsten Brennstoffgeneration. Das Fazit: Unter dem Strich müsse nach wie vor eine Menge an radioaktivem Abfall endgelagert werden, die ungefähr dem Volumen der ursprünglichen ausgefahrenen Brennstäbe entspricht.