Nobel Newspaper Article

Prof. Robert B. Laughlin
Department of Physics
Stanford University, Stanford, CA 94305

This is one of several newspaper articles related to Prof. Laughlin's 1998 Nobel Prize in Physics.



Die Welt
Dienstag, 13. Oktober 1998

Bizarre Eigenschaften von Elektronen im Magnetfeld

Der Physik-Nobelpreis 1998 geht an einen deutsche und zwei amerikanische Forscher -
Entdeckung von Bruchteilen der Elektronenladung

von Norbert Lossau

Stockholm Seit neun Jahren wird in diesem Jahr erstmals wieder ein deutscher Wissenschaftler mit einem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. Professor Horst L. Störmer, der heute an der Columbia Universität in New York arbeitet, wurde gestern von der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm gemeinsam mit den beiden US-amerikanischen Kollegen Robert B. Laughlin und Daniel C. Tsui für den Physik-Nobelpreis 1998 nominiert.

Die drei Physiker erhalten den insgesamt mit umgerechnet 1,5 Millionen Mark dotierten Preis für die Entdeckung des sogenannten „Fraktionierten Quanten-Hall-Effekts", der exotische Eigenschaften von Elektronen in extrem starken Magnetfeldern bei gleichzeitig tiefen Temperaturen offenbarte. Unter diesen Bedingungen können demnach Elektronen in Gestalt neuartiger Teilchen auftreten, die nur Bruchteile der elektischen Ladung eines Elektron besitzen. Bislang galt in der Physik die Ladung eines Elektrons als unteilbare Elementarladung.

Der klassische Hall-Effekt, der 1879 von dem amerikanischen Studenten Edwin H. Hall entdeckt worden war, gehört heute zu den Experimenten, die im Physik-Unterricht der Oberstufen durchgeführt werden. Dabei läßt man durch ein dünnes Metallplättchen, das sich in einem Magnetfeld befindet, einen elektrischen Strom ließen. Die Elektronen, die diesen Strom tragen, werden dabei durch das Magnetfeld seitlich zu einer Längskante des Plättchens abgelenkt. Die Folge: Es entsteht zwischen den beiden Kanten eine Spannung, die sogenannte Hall-Spannung, die mit einem Meßgerät einfach nachgewiesen werden kann.

Rund hundert Jahre später wiederholte 1980 der deutsche Physiker Klaus von Klitzing dieses Experiment und studierte dabei mit sehr präzisen Meßinstrumenten die Abhängigkeit des elektrischen Widerstandes eines stromdurchflossenen Plättchens von der Stärke des angelegten Magnetfeldes. Das erstaunliche Resultat: Bei ganz bestimmten Magnetfeldstärken änderte der Widerstand sprunghaft seinen Wert, um dann bis zum nächsten Sprung konstant auf einem Plateau zu verharren. Der „Quanten-Hall-Effekt" war entdeckt und ermöglichte einen neuen, deutlich präziseren internationalen Standart für die Bestimmung von elektrischen Widerständen. Seit 1990 wird er in der Maßeinheit „Klitzing" angegeben. Für seine bahnbrechende Entdeckung wurde Klaus von Klitzing 1985 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.

Doch der Hall-Effekt sollte noch gut für einen weiteren Nobelpreis sein. Bereits im Jahre 1982 führte Störmer zusammen mit Tsui in den AT & T Bell Laboratorien in Murray Hill (New Jersey) ein Experiment durch, daß die Physiker zunächst in großes Staunen versetzte. Im Prinzip nutzten sie den gleichen Versuchsaubau wie Hall oder von Klitzing, doch sie verwendeten noch stärkere Magnetfelder und kühlten das Meßplättchen auf noch tiefere Temperaturen ­ knapp oberhalb des absoluten Temperatur-Nullpunkts von minus 27 Grad Celsius.

In den Meßkurven fanden sie dann neue, noch höhere Widerstands-Plateaus, die von Klitzing mit seiner Apparatur hatte nicht entdecken können. Das Außergewöhnlichste daran war aber, daß sich diesmal die Höhe der Plateaus nicht ­ wie noch beim Klitzing-Effekt ­ durch ein mathematisches Gesetz mit ganzzahligen Vielfachen beschrieben ließ. Daher wurde das neue Phänomen als „bruchteilsquantisierter" oder auch „fraktionierter" Hall-Effekt bezeichnet.

Die beiden Experimental-Physiker Störmer und Tsui konnten sich das Auftreten dieser gebrochenzahligen Vielfachen nicht erklären. Die Möglichkeit, daß hier gebrochenzahlige Elektronenladungen im Spiel sein könnten, erschien im ersten Moment wohl als zu verwegen.

Es war dann der amerikanische Physiker Laughlin von der Stanfort Universität, der ein Jahr nach der Entdeckung des fraktionierten Hall-Effekts eine Theorie präsentierte, mit der sich das merkwürdigen Phänomen erklären ließ. Demnach kondensieren in Anwesenheit eines starken Magnetfeldes die in einem zweidimensionalen Plättchen eingesperrten Elektronen zu einer sogenannten „Quantenflüssigkeit" völlig neuen Typs. Mit Quantenflüssigkeit ist dabei gemeint, daß die Elektronen ihre Individualität verlieren und gemeinsam mit allen anderen Elektronen zu einem Teilchen-Kollektiv verschmelzen, das dann ganz neue Eigenschaften bezitzt.

Nur ­ nach den fundamentalen Gesetzen der Physik dürften ausgerechnet Elektronen nicht dazu in der Lage sein, in einer Quantenflüssigkeit aufzugehen. Doch sie schaffen es hier mit einem Trick: Jedes Elektron verbrüdert sich zunächst mit drei elementaren Teilchen des Magnetfeldes (den sogenannten Flußquanten). Diese merkwürdig zusammengesetzen Teilchen widersetzen sich dann einer Kollektivierung nicht mehr.

Die so gebildete neuartige elektronische Quantenflüssigkeit besitzt viele ungewöhnliche Eigenschaften. Am meisten Aufsehen erregte jedoch unter den Physikern, daß in diesem bizarren See aus Elektronen neuartige Teilchen gebildet werden sollten, die nur noch Bruchteile einer Elektronen-Ladung bezitzen. Erst kürzlich gelang es mehrere Forschergruppen, diese gebrochenzahligen Ladungen erstmalig auf direktem Wege experimenell nachweisen. Damit erst öffneten sie für das gestern nominierte Forschertrio das Tor nach Stockholm, wo sie am 10. Dezember den Physik-Nobelpreis entgegennehmen werden. Ihre Entdeckung war bestätigt.

Störmer, der 1949 in Frankfurt am Main geboren wurde und 1977 an der Universität Stuttgart in Physik promovierte, wurde für die Entdeckung des fraktionierten Hall-Effekts bereits 1985 mit dem Otto-Klung-Preis ausgezeichnet ­ den mit 35,000 Mark höchstdotierten Physik-Preis Deutschland.

Auch der 1939 in China geborene und heutige US-Bürger Daniel Tsui ist bereits für die Entdeckung ausgezeichnet worden ­ erst in diesem Jahr mit der Medaille des Franklin-Instituts der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft, die gleichzeitig auch Störmer und Laughlin erhielten.

Der 1950 in Kalifornien geborene Robert Laughlin ist Professor an der Stanford Universität. Er hat neben der Theoretischen Physik noch weitere Leidenschaften ­ Laughlin komponiert in der Freizeit Klaviersonaten und zeichnet gerne witzige Karikaturen.